Als Läuferinnen und Läufer haben wir meist gute Antennen für geographische Besonderheiten oder skurrile Objekte, deren läuferische Erkundung im Wettkampf Ruhm, Spaß oder einfach nur Abwechslung versprechen.

Je absurder die Herausforderung erscheint, desto größer ist offenbar ihre Sogwirkung. Laufen Unter Tage, auf Salzhalden, durch Parkhäuser, von Weinprobe zu Weinprobe oder einfach mal 50 km um die Zugspitze, sind bekannte Beispiele dafür. Nun gab es die Gelegenheit, direkt in den Maschinenraum der Sogwirkung einzutauchen und der Sache wirklich auf den Grund zu gehen. Dort, wo man wie nirgendwo sonst, täglich die Entstehung einer fulminanten Sogwirkung beobachten und spüren kann, Ebbe und Flut genannt. Im größten Wattgebiet der Welt galt es erstmalig in einem Wettkampf von Cuxhaven nach Hamburg zu laufen. Nein, nicht 80 km flussaufwärts an der Elbe entlang, sondern zur Insel Neuwerk, dem nördlichsten Stadtteil Hamburgs.

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So standen Laufkollege Alexander und ich als die einzigen Vertreter der LG Burg, gemeinsam mit über 400 Starterinnen und Startern im tiefen Sand, am Strand des Nordseeheilbades Duhnen und warteten auf das Startsignal. Bei an sich optimalen Laufbedingungen war die Anspannung in diesem Moment dennoch überall deutlich spürbar. Der Blick wanderte immer wieder etwas irritiert auf das Watt. Könnte es nicht doch sein, dass es diesmal eine zu leichtfertige Entscheidung war, den Spaß ausgerechnet in einem läuferisch völlig ungeeigneten Terrain zu suchen? Welches Spiel würde die Sogwirkung heute mit uns spielen? Niemand von uns allen kannte schließlich den genauen Zustand der mit Reisigzweigen abgesteckten Strecke, die man bei Strafe nicht verlassen durfte und auch nicht sollte! Im Vorfeld gab es zwar im großen Strandstadion eine ausführliche Unterweisung über das richtige Verhalten und zahlreiche Sicherheitshinweise, aber die Aussicht auf halber Strecke nach verfehlter Cut-off-Zeit von 90 Minuten, sechs Stunden bis zur einsetzenden Flut, völlig durchnässt auf die Fähre warten zu müssen, war schon besorgniserregend. Zur Pflichtausrüstung gehören eben deshalb neben 1L Wasser im Übrigen 50 Euro Bargeld.

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Die Rede war vorab von "nur" einigen Prielen mit bis zu 100 Metern Länge und ansonsten offenbarte ein Local, dass es feste Fahrspuren gäbe. Die klugen Leute unter uns, nehmen nämlich für einen Ausflug nach Neuwerk die zahlreichen mit Pferden gespannten Planwagen. Schon wenige Meter hinter der Startlinie stellte sich leider heraus, dass das Watt heute irgendwie nur aus Prielen bestand. Immer wieder musste man durch tiefes Wasser waten, dass zudem kräftig an den Beinen zog. Irgendjemand hatte offensichtlich in der natürlichen Badewanne den Stöpsel gezogen. Natürlich trug der glitschige und unebene Untergrund – die Heimat der vielbeschworenen Wattwürmer - auch noch dazu bei, dass die eigentliche Challenge darin bestand, in dieser Seenlandschaft nicht vollends abzutauchen. Was uns gelungen ist! Immerhin gab es für diesen außerordentlich anstrengenden Balanceakt viel Unterstützung durch die Passagiere in den erwähnten Pferdekutschen. Sie klatschten und jubelten uns zu. Das tat schon gut. Trotzdem flossen die Minuten auf der ersten Hälfte der Stecke bedrohlich schnell dahin. Die Cut-off-Zeit nahte. Schließlich rückte dann doch der altehrwürdige, 1310 erbaute Leuchtturm von Neuwerk immer näher. Man passiert dort zunächst auf einem schwer zu laufendem Feldweg den kleinen Yachthafen, um anschließend endlich die Verpflegungsstelle unterhalb des Leuchtturms zu erreichen. Aber aufgepasst, erst nach der Verpflegungsstelle wird die Zwischenzeit gemessen, die im besten Fall dazu berechtigt, mit den eigenen Beinen den Rückweg anzutreten. Zumindest für mich stellte sich das Thema Sogwirkung auf dem Rückweg endlich wie erhofft dar. Zwischenzeitlich waren die gefürchteten Priele vollends verschwunden und der Ausblick auf die Küstenlinie machte Hoffnung auf ein erfolgreiches Ende der Veranstaltung. Allerdings lagen zwischen uns und der erlösenden Ziellinie abermals noch gut 12 km, die jetzt durch zigtausende kraterförmige Pfützen geprägt waren. Egal, nach knapp 2,5 Stunden spürten die Füße endlich wieder den weichen, trockenen Sand und ich durchlief den RedBull Zielbogen.

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Noch vollkommen erschöpft blickte ich auf die noch lange Läuferschlange, die sich im mild-dunstigen Licht wie ein verbindendes Band von der Insel bis zum Festland zog. Ich blickte auch hinab auf die Schuhe, die ich für den heutigen Tag geopfert hatte und auf die graue salzhaltige Kruste, die vielleicht für immer an den Beinen kleben würde. Trotz alledem war das Fazit jetzt schon klar. Die eingangs gestellte Frage nach der Leichtsinnigkeit des Vorhabens war berechtigt, so fair muss man sein. Es bleibt aber dabei. Das Einzige, was uns Läufer wirklich antreibt, was im Läuferleben wirklich zählt, ist und bleibt: echte Sogwirkung!

Weitere Informationen, Bilder und Ergebnisse hier: https://www.redbull.com/de-de/events/red-bull-wattlauf/

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